Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass der Tierarztvorbehalt für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger und zugleich registrierter homöopathischer Humanarzneimittel bei Tieren gegen das Grundgesetz verstößt und nichtig ist. Somit ist die Anwendung dieser Arzneimittel an Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, ohne tierärztliche Verordnung erlaubt.
Tierarztvorbehalt für Tierheilpraktiker war ab Januar 2022 Pflicht
Die Beschwerdeführerinnen sind Tierheilpraktikerinnen und eine Tierhomöopathin, die nicht verschreibungspflichtige, hochpotenzierte Humanhomöopathika bei Tieren anwenden. Mit dem neuen § 50 Abs. 2 TAMG dürfen sie dies nur noch mit vorheriger Verschreibung oder Abgabe durch eine Tierärztin oder einen Tierarzt tun.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Tierarztvorbehalt in § 50 Abs. 2 TAMG gegen die Berufs- und Handlungsfreiheit von Tierheilpraktikerinnen und Tierhomöopathinnen verstößt. Dieser Vorbehalt schränkt die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren unter bestimmten Bedingungen ein. Der damit verbundene Grundrechtseingriff ist laut Gericht nicht verhältnismäßig, da die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und der Gesundheit von Tier und Mensch als gering einzuschätzen ist. Der Gesetzgeber hat keinen verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich vorgenommen.
Der Tierarztvorbehalt für nicht verschreibungspflichtige Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, wurde mit § 50 Abs. 2 TAMG eingeführt. Dies bedeutet, dass nur noch Tierärztinnen oder Tierärzte solche Arzneimittel verschreiben oder abgeben dürfen.
Zwei Tierheilpraktikerinnen und eine Tierhomöopathin haben langjährige Erfahrung in der Behandlung von Hunden, Katzen, Pferden und Kleintieren. Sie verwenden klassische Homöopathie mit hochpotenzierten Humanhomöopathika, die zwar registrierungspflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig sind. Eine der Beschwerdeführerinnen behandelt auch ihre eigenen Hunde und Pferde mit diesen Arzneimitteln.
Beschwerdeführerinnen klagen gegen § 50 Abs. 2 TAMG und verletzte Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Eine Beschwerdeführerin rügt auch Verletzung der Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG als Tierhalterin.
Abwägung zwischen dem Schutz von Tieren und der Berufsfreiheit
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, da die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG rügen. Obwohl das Tierarzneimittelgesetz auch der Umsetzung von EU-Rechtsakten dient, kann das Bundesverfassungsgericht den § 50 Abs. 2 TAMG prüfen, da er nicht vollständig dem Unionsrecht entspricht oder diesem angepasst ist.
Die Verfassungsbeschwerden sind gerechtfertigt, da § 50 Abs. 2 TAMG die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerinnen als Tierheilpraktikerinnen und Tierhomöopathin unverhältnismäßig einschränkt, was gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt.
Die Anwendung von Humanhomöopathika bei Tieren ohne tierärztliche Verordnung ist gemäß § 50 Abs. 2 TAMG nicht gestattet, was die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerinnen einschränkt.
Obwohl der Tierarztvorbehalt gemäß § 50 Abs. 2 TAMG für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren einen legitimen Zweck verfolgt, ist dieser Eingriff in die Berufsfreiheit der Tierheilpraktikerinnen und Tierhomöopathin nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Der Tierarztvorbehalt hat einen legitimen Zweck: Die Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie bei Heilbehandlungen von Tieren. Dies dient dem Tierschutz und der Gesundheit von Mensch und Tier. Es ist vernünftig und sachlich, Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen durch nicht ärztliche Personen zu vermeiden.
Zwar ist der Tierarztvorbehalt an sich geeignet und erforderlich, um den Gesetzeszweck zu erreichen, aber die Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt. Es gibt keine ausreichende Begründung dafür, dass Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika ein höheres Risiko für Fehlbehandlungen darstellen als Tierärzte.
Der Eingriff in die Berufsfreiheit wiegt schwer, da Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen, die klassisch homöopathisch arbeiten, nahezu ausschließlich hochpotenzierte, nicht verschreibungspflichtige Humanhomöopathika verwenden. Eine alternative berufliche Tätigkeit ist in diesem Bereich nahezu unmöglich.
Der Eingriff in die freie Berufsausübung von Tierheilpraktikern und Tierhomöopathen ist erheblich, doch die schützenswerten Belange des Tierschutzes und der Gesundheit von Tier und Mensch sind von größerem Gewicht. Die Anforderungen des Tierarztvorbehalts dienen dazu, Fehlbehandlungen und Fehldiagnosen bei Tieren zu vermeiden und damit deren Leiden zu reduzieren.
Die Beeinträchtigung der Gemeinwohlbelange ist gering und durch Kenntnisnachweis weiter zu mindern.
Im Tierschutz- und Tiergesundheitsgesetz sind sanktionierte Verhaltens- und Anzeigepflichten verankert, die insbesondere in schwerwiegenden Fällen dazu beitragen können, das Wohlergehen von Tieren zu schützen und Schäden durch fehlerhafte Diagnosen und Behandlungen in gewerblichen Heilbehandlungen zu vermeiden.
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen der Gemeinwohlbelange bei gewerblichen Heilbehandlungen an Tieren nicht sehr hoch ist und toleriert eine gewisse Gefährdung im Vergleich zu anderen Behandlungen.
Bei der Heilbehandlung von Tieren durch nicht approbierte Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen besteht ein gewisses Risiko für den Tierschutz und die Gesundheit von Tier und Mensch. Dieses Risiko ist jedoch nicht nur bei der Anwendung von Humanhomöopathika gegeben, sondern auch bei der Verwendung nicht verschreibungspflichtiger Tierarzneimittel oder alternativer Heilmethoden wie der Pflanzenheilkunde. Der Gesetzgeber stellt diese Methoden nicht unter einen Tierarztvorbehalt und erlaubt Personen ohne spezifische Ausbildung die Anwendung unterschiedlichster Therapieansätze. Dabei besteht das Risiko von Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen sowie das Risiko, dass auf Menschen übertragbare Infektionskrankheiten unerkannt bleiben oder falsch behandelt werden.
Um die Gefahren für Tierschutz und Gesundheit von Tier und Mensch zu minimieren, sollte die Verwendung nicht-verschreibungspflichtiger Homöopathika bei Tieren durch nicht-ärztliche Personen an bestimmte Kenntnisse geknüpft werden, die eine Einschätzung der Notwendigkeit einer tierärztlichen Behandlung ermöglichen.
Angesichts der geringen Gefahren, die mit der Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren durch nichtärztliche Personen einhergehen, erscheint der Tierarztvorbehalt als unangemessener Eingriff in die Berufsfreiheit von Tierheilpraktikern, die sich auf die klassische Homöopathie spezialisiert haben. Um die Qualität von Diagnostik und Therapie dennoch zu sichern, könnte stattdessen eine Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse in der Tierheilkunde eingeführt werden.
Die Anordnung des Tierarztvorbehalts für nicht verschreibungspflichtige Humanhomöopathika bei Tieren durch Tierhalter stellt eine unverhältnismäßige Einschränkung dar.
Der Tierarztvorbehalt gemäß § 50 Abs. 2 TAMG für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika durch Tierhalterinnen und Tierhalter stellt einen Eingriff in deren Handlungsfreiheit dar. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt, da er nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Obwohl er dem legitimen Zweck der Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie dient, kann dieser Zweck auch durch andere Maßnahmen erreicht werden.
Obwohl die Einschränkung der Handlungsfreiheit von Tierhaltern, die klassische Homöopathie anwenden, zunächst geringer erscheinen mag, sind die Sicherungen des Tierschutzgesetzes für Tierhalterinnen und Tierhalter von größerer Bedeutung. Diese Maßnahmen verringern das Risiko von Schäden für Tier und Mensch erheblich.